Gesamtschulregion Vorarlberg

Ein frommer Landeshauptmanns-Wunsch

+ ein Spindelegger, der kein Christkindl sein will

+ ein SPÖ-Bundeskanzler, der grundsätzlich dafür ist

+ zuschaut

= eine Chance für die Betroffenen

 

Reinhart Sellner

 

Soziale und demokratische Schul- und Unterrichts-Reformen haben neben der restriktiv-neoliberalen Budgetpolitik, die aus Rücksicht auf ÖVP, Wirtschaftskammer und IV weiterhin auf vermögensbezogene Steuern verzichtet, wenigstens drei weitere ungesicherten Baustellen:

·Bundeskompetenz für alle Schulen/PädagogInnen und Umsetzungskompetenz für Schulen bzw. Schulverbunde ("Autonomie"), Landesschulräte als nachgeordnete Dienststellen des BMUKK

·Schulorganisation - Gesamtschule, Sekundarstufe II mit berufsbildspezifischen Kooperationsmöglichkeiten BS-BMHS und Gymnasium NEU)

·Reparatur der Dienstrechtsnovelle Pädagogischer Dienst im Rahmen der Reform des Dienstrechts aller öffentlich Bediensteten: Ein Aufgaben und Zeitaufwand besoldungsrelevant definierendes und demokratisches LehrerInnendienstrecht (Jahresarbeitszeit, die an den Schulen über Diensteinteilung auf die am Standort notwendigen Aufgaben abgestimmt wird, und Stärkung der Mitwirkungsrechte des Schulpersonals (individuelle und kollektive Personalvertretungs-Rechte) und der Schulpartner bei der Umsetzung des Bildungsauftrages. Ein modernes Dienstrecht, das Wertschätzung der pädagogischen Tätigkeiten und der dazu notwendigen vollakademischen Ausbildung durch den Dienstgeber dokumentiert, wäre eine solide Grundlage für Motivation und Engagement der vielen LehrerInnen, die vom Reformverhindern der ÖVP-FCG-LehrerInnengewerkschaftsfunktionäre genug haben, aber aus Angst vor weiteren „Reform“-Sparpaketen und wegen der laufenden Verdichtung der Arbeit an den Schulen die Anti-Reformpolitik insbesondere der ÖVP-AHS-Gewerkschafter nicht in Frage stellen.

 

Keine Einführung der Gesamtschule 2013-2018

 

Die Bundes-ÖVP, ÖVP-Standespolitiker in den LehrerInnengewerkschaften und machtbewusste Landeshauptleute, die die LandeslehrerInnen der Volks- und Hauptschulen auch weiterhin als ihre (vom Bund bezahlten) Untertanen behalten wollen, haben dafür gesorgt, dass im Koalitionsabkommen das Wort Gesamtschule nicht vorkommt. Dem SPÖ-Chefverhandler war die Gesamtschule, für die er wie viele SPÖ-Politiker vor ihm natürlich, nur grundsätzlich ist, nicht so wichtig wie seinem ÖVP-Gegenüber das Zweiklassenschulsystem. 

Vor Weihnachten, kurz nach ihrer Angelobung, hat die neue Bildungsministerin recht eigenwillig erklärt, dass sie am Ziel der Gesamtschulreform festhalten und mit reform-offenen Landesregierungen über Gesamtschulregionen reden will. Kaum sind die Heiligen drei Könige abgereist, streiten westösterreichische VP-Landeshauptleute mit ihrem Bundesparteiobmann (der ihnen ausrichten lässt, dass er kein Christkindl sein will) über die von Heinisch-Hosek aufgegriffene Frage von Gesamtschulregionen als erste Schritte zur gemeinsamen Pflichtschule. Die neue NMS-Hauptschule mit ihren 9 Landes-Mutationen wird doch nicht der große Wurf, der die soziale Selektion am Ende der Volksschule und das Nebeneinander von höherer Unterstufe und niedrigerer Hauptschule aushebelt.

 

Die Gesamtschulregion Vorarlberg steht nicht im Koalitionspakt

 

Modellregionen, wie sie schon von Heinisch-Hoseks Vorgängerin angedacht wurden, sind allem Anschein nach kein Rückzugsmanöver, sondern ein österreichischer Weg, die von ÖVP und GÖD jahrzehntelang verhinderte Reform der Sekundarstufe 2 in Gang zu bringen. In Finnland wurde die Gemeinschaftsschule erst in dünn besiedelten Regionen im Norden realisiert (allerdings mit dem politisch von allen Parteien getragenen Gesamtplan der schrittweisen Ausweitung bis in die Ballungsräume im Süden und Südwesten, wo es zu diesem Zeitpunkt noch starken Widerstand von GymnasiallehrerInnen gab), in Österreich bietet sich im Westen Vorarlberg als Einstiegsregion an:

·Die Bevölkerungszahl und die Zahl der Schulen ist überschaubar - anders als Tirol oder Salzburg eignet sich das Bundesland Vorarlberg als EINE Gesamtschul-Musterregion

·Die LehrerInnen sind, verglichen mit allen anderen Bundesländern, über Schultypengrenzen hinweg gut vernetzt und in Zusammenarbeit mit Eltern, nicht erst seit Gehrer selbstbewusst-widerständig und daher bildungspolitisch offen für eine Gesamtschulreform. Die FCG-ÖVP hat auf Landesebene in den Personalvertretungen der BMHS, AHS und APS Minderheitenstatus. Im Bereich der AHS hat bei den PV-Wahlen die für die Gesamtschule aktive Vorarlberger LehrerInnen Initiative, die absolute Fachausschuss-Mehrheit gegen eine intensive proGymnasiums-Kampagne der FCG behauptet, die BMHS-LehrerInnen haben mit Zweidrittelmehrheit die VLI gewählt. Gewerkschaftlich ist die VLI in der Unabhängigen Bildungsgewerkschaft/UBG und in der UGÖD organisiert). Im APS-Bereich gibt es eine ÖVP-unabhängige Mehrheit, die mit der VLI kooperiert.

·Die Aufteilung der Kinder in HS/NMS und AHS-Unterstufe bereitet immer mehr Eltern Probleme, weil sie für ihre Kinder bzw. für jüngere Geschwister oft keinen AHS-Platz bekommen, weil die AHS bereits überfüllt sind (ähnlich ist die Situation in Tirol, wo die  ÖVP-Sympathie für eine Gesamtschule zwar die FCG-AHS irritiert, aber von immer mehr bildungsbürgerlichen ÖVP-WählerInnen erwartet wird). Die NMS anstelle der HS löst das Problem weder in Vorarlberg noch in Tirol.

·Eine Gesamtschulregion Vorarlberg könnte für die Zeit des Modellregion-Versuches unter Kompetenz des bmukk (direkte Bezahlung der LehrerInnen) laufen, die Entscheidung über Personaleinsatz/Diensteinteilung könnte probeweise der Schule/bei kleinen NMS/ AHS-Standorten deren Schulverbund übertragen werden („Stärkung der Schulautonomie“ steht im Arbeitsprogramm der Bundesregierung)

·SCHOG-, Dienstrechts- und PVG-Novellen zur Ermöglichung des Gesamtschulmodell-Versuches sind mit einfacher Mehrheit zu beschließen, ob die Modellregion Vorarlberg eine 2/3-Verfassungsänderung braucht (LandeslehrerInnen der Sekundarstufe unter Bundes-Gesamtschulkompetenz) oder eine Vertragslösung Land-Bund genügt, ist strittig.

·Initiativen von Landes-PersonalvertreterInnen (FA AHS, FA BMHS, ZA APS), die von der FCG-ÖVP-Mehrheit in der GÖD unabhängig sind und die GÖD-Reformblockadepolitik ablehnen, in Richtung Landesregierung und bmukk könnten die begonnene Debatte vertiefen. BMHS hat zwar keine Unterstufe, ist aber über den verschränkten NMS-Personaleinsatz mit betroffen.

·Gespräche von LehrerInnenvertretung VLI und Elterninitiative mit Landeshauptmann + Landtagsparteien und der Neos könnten diese Initiativen ergänzen. Alle Vorarlberger Parteien mit Ausnahme der FPÖ haben sich für die Gesamtschule ausgesprochen. Vermutlich sind sie - mit Ausnahme der ÖVP - für die Bundeszuständigkeit über die Gesamtschul-Versuchsregion zu gewinnen, VS und BS blieben dabei weiter beim Land.

·Ähnliche Möglichkeiten hat auch die Vorarlberger Elterninitiative für eine gemeinsame Schule. Die letzte überparteilich gemeinsam mit VLI/UBG und anderen organisierte Großveranstaltung im November 2013 war dem Schwerpunkt Finnische Schule gewidmet. Es gab Vorträge, eine Publikumsdiskussion des ORF-Vorarlberg, Workshops mit LehrerInnen...

·Gespräche mit ÖVP-GesamtschulbefürworterInnen, mit Grünen/Walser, Neos/Strolz, SPÖ/Mayer (der wegen der Gesamtschulindolenz der Bundes-SPÖ den Bildungssprecher zurückgelegt hat) sollten im Vorfeld der Vorarlberger Landtagswahlen positiv wirken.
Öffentliche Debatten unter Einbeziehung der Sozialpartner ÖGB/AK (AK-Wahlen in Vorarlberg in wenigen Wochen), IV + BWK (vgl. Bad Ischler Beschlüsse, ÖGB-Bildungsforderungen) wären ein weitere Möglichkeit.

·Auch die ARGE Gemeinsame Schule in Vorarlberg, ein überparteilicher und überfraktioneller Zusammenschluss aller Lehrer/innen-Vertretungen, ElternvertreterInnen und Gewerkschaften, kann einen wichtigen Beitrag leisten, setzt sie sich doch schon seit 2007 sehr aktiv für die Gemeinsame Schule in Vorarlberg ein.

 

Der Landtagswahldruck auf die Vorarlberger ÖVP ist groß, der Christkindl-Sager des Vizekanzlers am 8.1.2014 schadet dem Landtagswahlkampf der ÖVP, weil für Landeshauptmann Wallner weltoffene Profilierung gegenüber der reformorientierten Konkurrenz der Grünen und den unverbrauchten Neos angesagt ist. 

Widersprüche tanzen. Bewegung ist möglich.

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